Die Treskowitzer Truhe

- das Tagebuch der Rosalia Anger aus den Jahren 1865/1866

 

Als ein Tischlermeister im Jahre 1830 in dem Ort Markt Mohelno, 11 km nordöstlich von Mährisch Kromau, eine schöne blaue, mit herrlichen Motiven bemalte Truhe herstellte, ahnte keiner welch abenteuerliche Odyssee dieses Möbelstück einmal haben würde. Denn der Deckel der Truhe hat noch heute, nach fast 200 Jahren, einen Ehrenplatz im Hause Franz Lehner in Kirchheim am Neckar !

Der Schreiner aus Markt Mohelno verkaufte die neue Truhe schon bald nach Leipertitz an die Familie Anger und in ihr wurden die wertvollsten Kleider, der "Sonntagsstaat" aufbewahrt.

Leipertitz gehörte seit Jahrhunderten durch die Leibeigenschaft zum Adelsgebiet Mährisch Kromau, so ist es kein Wunder, dass es seit langer Zeit Markt- und Kaufbeziehungen der Leipertitzer in die tschechischen Dörfer der Herrschaft gab.

Diese Truhe, in die Jahre gekommen, vom Schmuckstück bis zur Kiste für Hühnerfutter verwendet, wurde wieder extrem wichtig. Das 113 x 64 x 70 cm große hölzerne Behältnis barg den gesamten Besitz der Familie Lehner bei der Vertreibung 1946 aus Treskowitz!

Aber lassen wir Rosa Lehner, geb. Korber, aus Treskowitz Haus Nr. 337 stammend, die Geschichte der alten Truhe erzählen: "Jedes Ding hat seine eigene Geschichte und ich will die Geschichte der alten Truhe erzählen. Gewiß, sie war einmal schön, blau mit schöner Malerei. Gemacht wurde sie im Jahre 1830 von einem Tischlermeister aus Markt Mohelno. Meine Ahne mütterlicherseits, die Breiner Ahnl, hat sie von Leipertitz mitgebracht. Darum bezieht sich das, was die Urahne Rosalia Anger, geb. Spandl innen am Truhendeckel aufgeschrieben hat, mehr auf Leipertitz. Im Urtext steht dort geschrieben, was sich im Laufe der Zeit zugetragen hat:

In 5ten April im Jahre 1865 da hat man in der Früh noch auf dem Schnee gehen müssen, gegen Mittag hat er angefangen zu schmelzen, am 6. 7. 8. ist er weggegangen und im 11ten April da haben wir schon ackern können. Im Jahre 1866 da haben wir ein zeitiges und schönes Frühjahr gehabt und die Früchte   sind  geschwind   gewachsen,  auf   Georgi  da  hat  das  Korn schon alles geschossen.  Am 20ten Mai da war Pfingstsonntag, da war das Korn schon  in  der  schönsten  Blüte.  Da   war  eine  so große  Kälte,  da   hat   man nirgends auf der Gasse sein können, sondern im Zimmer. In 21ten auch, da hat's geschneit, 22ten da haben wir den Türkenweiz gehaut, gegen Abend hat es geschneit 22ten und 23ten und 24ten Mai da hat es so stark gefroren, dass man auf dem Eis gehen konnte. Da war alles Obst erfroren, das Korn alles, der Weizen nicht grad ganz, da war Jammer und Elend. - Und jetzt steht uns ein sehr schrecklicher Krieg bevor mit den Preußen. Da war Angst und Kummer. Am 4ten Juni kamen 180 Mann Kanoniere und am 18ten Juni da sind sie hineinmarschiert auf die preußische Grenze und dann hat der Kampf angefangen. Österreicher mußten returnieren. Am 15ten kamen preußische Hullaner, da haben über Nacht Einquartierung, die Scheuern voll Pferde. -

Soweit die Aufzeichnungen der Urahne! Man sieht, auch vor 100 Jahren hatte die Menschheit ihre Sorgen, trotz der "guten, alten Zeit". Einen kleinen Teil davon aus den Jahren 1865-1866 hat die Urahne der alten Truhe anvertraut. Ja, ja, die alte Truhe! Schön ist sie nicht mehr. Daheim  bei der Mutter, da stand sie in der Mehlkammer, da war Hühnerfutter drin. Als wir uns 1946 fertig machten zum Aussiedeln, kam die Truhe wieder zu ehren und trat mit uns die große Reise an. Nun steht sie in unserem Haus im Souterrain. Sie tut noch immer ihren Dienst, so wie Generationen vor uns. Darum wollen wir sie in Ehren halten, denn sie ist ein Stück Heimat, die alte Truhe!

Trotz intensiver konser-vierender Maßnahmen ist es der Familie Lehner nicht gelungen den Holzkorpus der Truhe vor den Holzwürmern zu retten. Aber das wertvollste, den Deckel mit der alten Inschrift, dem geschichtlich historischen Tagebuch der Urahnin aus Leipertitz, der konnte erhalten werden. Er wird auch noch den Enkeln und Urenkeln in ferner Zeit Ereignisse aus dem alten Südmähren, von den Vorfahren aufgeschrieben, verkünden.